Das Ende eines Steuersparmodells dank Marktplatzhaftung – das Aus für steuerfreie Direktlieferungen aus China?

Die Haftung von Amazon und Co. für nicht gezahlte Umsatzsteuer zeigt Wirkung. Das könnte in einigen Fällen das Aus für steuerfreie Direktlieferungen aus China bedeuten.
Dr. Roger Gothmann
Dr. Roger Gothmann
  • 6 min. Lesezeit
Das Ende eines Steuersparmodells dank Marktplatzhaftung  –  das Aus für steuerfreie Direktlieferungen aus China?

Die Haftung der Marktplätze für nicht gezahlte Umsatzsteuern zeigt Wirkung.

Das könnte letztendlich sogar zum vorzeitigen Ende eines beliebten Steuersparmodells vieler Online-Händler aus Drittstaaten – insbesondere aus China – führen.

Es geht um die sogenannten steuerfreien 22-Euro-Lieferungen.

Wir erklären im Folgenden die Systematik aus umsatzsteuerlicher Sicht und warum Amazon und Co. zumindest einigen Anbietern in diesem Segment nun einen Riegel vorschieben (müssen).

Importe aus Drittstaaten: Einfuhrumsatzsteuer

Werden Waren aus Drittstaaten – z.B. aus China – in die EU geliefert, fallen grundsätzlich Zoll und Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) an.

Die EUSt hat die Funktion, eine Umsatzbesteuerung im Bestimmungsland – z.B. in Deutschland – herzustellen.

Das Umsatzsteuergesetz definiert daher in § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG, dass auch Einfuhren der Umsatzsteuer (Einfuhrumsatzsteuer) unterliegen.

Unternehmer, welche Waren aus Drittstaaten erwerben, können sich die EUSt in den meisten Fällen als Vorsteuer durch ihr Finanzamt erstatten lassen. Somit unterliegen letztendlich nur Lieferungen aus Drittstaaten direkt an Endverbraucher einer Definitivbesteuerung, was letztendlich auch das Ziel.

Das Besondere an der EUSt – im Gegensatz zur USt – ist, dass sowohl der Lieferant als auch der Käufer Schuldner sein können – selbst dann, wenn es sich beim Käufer um eine Privatperson handelt. Entscheidend sind in diesem Fall die Lieferkonditionen.

So kann das vermeintlich billige Smartphone aus China im Nachgang teuer werden, wenn der Käufer entsprechende Klauseln übersehen hat und dieses beim Zollamt abholen darf – inkl. Zahlung von 19 Prozent Einfuhrumsatzsteuer und Zoll.

Ja, Lieferungen bis 22 Euro Warenwert sind von der EUSt befreit, aber …

Jährliche gelangen mehrere hundert Millionen Sendungen aus Drittstaaten in die EU. Die Zollbehörden könnten diese mit den aktuellen technischen und personellen Ressourcen nicht annähernd stichprobenhaft erfassen bzw. prüfen.

Die EU-Staaten haben sich daher im Rahmen einer Richtlinie (2009/132/EG) darauf geeinigt, dass Lieferungen mit einem Warenwert bis 10 Euro immer von der EUSt befreit sind. Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten nach Art. 23 dieser Richtlinie das Recht, diese Grenze bis auf 22 Euro heraufzusetzen. Diese Option haben die meisten EU-Staaten – inkl. Deutschland – auch genutzt.

In Deutschland wird die Steuerbefreiung in § 1a der Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsverordnung geregelt.

Das bedeutet aber nicht, dass derartige Lieferungen in Gänze von der (Einfuhr)Umsatzsteuer befreit sind – im Gegenteil.

22-Euro-Lieferungen: keine EUSt aber USt

Letztendlich sollte ein Großteil der direkten Lieferungen aus China und Co. nach Deutschland dennoch der Umsatzsteuer unterliegen.

Warum?

In diesem Fall greift eine Regelung, wonach sich der Ort einer Lieferung aus dem Drittstaat nach Deutschland verlagert, wenn der Lieferant Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist. Das Ganze ist in § 3 Abs. 8 UStG geregelt.

Das bedeutet: Händler, welche Direktlieferungen aus Drittstaaten anbieten, erbringen in diesem Fall in Deutschland steuerbare Lieferungen. Sie müssen sich in Deutschland registrieren und Umsatzsteuer für diese Direktlieferungen aus den jeweiligen Drittstaaten abführen – weil der Ort dieser Lieferungen aus umsatzsteuerlicher Sicht in Deutschland liegt.

Gilt das auch für steuerfreie 22-Euro-Lieferungen?

Ja, das gilt auch in Fällen der 22-Euro-Lieferungen – auch wenn diese von der EUSt befreit sind.

Der Mehrwertsteuerausschuss hat bereits im Februar 2014 mehrheitlich beschlossen, dass Lieferungen aus Drittstaaten im Rahmen des Versandhandels an Privatpersonen immer als vom Lieferanten eingeführt gelten. Damit wäre immer der Händler aus dem jeweiligen Drittstaat Schuldner der EUSt.

Mehrwertsteuerausschuss: Dieser Ausschuss besteht aus Vertretern der Mitgliedstaaten unter Vorsitz der EU-Kommission. Die regelmäßigen Treffen sollen sicherzustellen, dass das harmonisierte Umsatzsteuerrecht in allen EU-Staaten einheitlich ausgelegt wird. Die Beschlüsse sind nicht unmittelbar rechtsverbindlich.

In diesen Fällen greift daher die Ortsverlagerung (§ 3 Abs. 8 UStG) und die damit einhergehende Steuerbarkeit im Bestimmungsland – z.B. in Deutschland. Das gilt auch dann, wenn aufgrund der Steuerbefreiung keine EUSt anfällt.

Der Bundesfinanzhof (BFH) – das höchste deutsche Finanzgericht – hat diese Systematik zuletzt in 2015 bestätigt.

Zwischenfazit: Lieferungen bis 22 Euro Warenwert aus Drittstaaten sind zwar grds. von der Einfuhrumsatzsteuer befreit. Es kommt jedoch im Versandhandel regelmäßig zu einer Ortsverlagerung in das Bestimmungsland (§ 3 Abs. 8 UStG), sodass Umsatzsteuer und eine Registrierungspflicht des Lieferanten im Bestimmungsland anfällt.

In der Praxis dürfte nach unseren Erhebungen allerdings für die wenigsten Direktlieferungen aus China und anderen Drittstaaten die Umsatzsteuer in Deutschland abgeführt werden.

Amazon versus Finanzamt Neukölln in Berlin

Seit dem 01.03.2019 haften Amazon und Co. für Umsatzsteuer, welche von Händlern aus Drittstaaten nicht abgeführt worden ist.

Das ist der Grund, warum Amazon die sogenannte 22-f-Bescheinigung auch von Händlern verlangt, welche ihre Produkte ausschließlich aus Drittstaaten (z.B. China) nach Deutschland versenden.

Das ist verständlich. Amazon will für die Umsatzsteuer von Direktlieferungen nicht haften – insbesondere angesichts der oben genannten Praxis.

Für diese Händler ist das Finanzamt Neukölln in Berlin zentral zuständig. Die Sachbearbeiter dort lehnen nach unseren Erkenntnissen aktuell Anträge auf Registrierungen bzw. 22-f-Bescheinigungen von Händlern ab, die ausschließlich direkt aus dem Drittland nach Deutschland versenden, weil nach ihrer Ansicht keine Steuerbarkeit in Deutschland gegeben ist.

Warum das Finanzamt Neukölln in Berlin die Ansichten des Mehrwertsteuerausschusses, dem auch Deutschland angehört, sowie des BFH ignoriert, lässt sich nur mutmaßen.

Das Finanzamt ist aber bereits mit der Anzahl von Händlern aus Drittstaaten überfordert, welche ihre Produkte in Deutschland einlagern und damit unmittelbar steuerpflichtig sind. Sollten noch einige tausend Händler hinzukommen, welche ausschließlich Direktversand betreiben, wäre das Finanzamt Neukölln vermutlich vollständig lahmgelegt.

Zwischenfazit: Es scheint, als wäre das Modell der steuerfreien Direktlieferungen aus Drittstaaten hinfällig, da Amazon einer anderen Rechtsauffassung als das Finanzamt Neukölln in Berlin folgt bzw. folgen muss. Die Marktplatzhaftung zeigt demnach Wirkung.

Ist das nun das vorzeitige Ende der 22-Euro-Lieferungen?

Fazit: Ein Anfang – aber es gibt weitere Schlupflöcher und zahlreiche Marktplätze ohne Haftungsrisiko

Der Anfang ist gemacht und die Marktplatzhaftung erschwert zumindest einige Steuersparmodelle.

Es gibt aber auch Marktplätze, die aufgrund fehlender Niederlassungen in der EU für die Finanzbehörden nicht greifbar sind.

wish.com ist z.B. ein solcher Marktplatz, über welchen fast ausschließlich Produkte im Wert von unter 22 Euro als Direktlieferungen aus China angeboten werden.

Zudem gibt es nach unseren Hochrechnungen mehrere tausend Händler aus China, welche sowohl das Fulfillment von Amazon in Deutschland nutzen als auch Direktlieferungen aus China nach Deutschland tätigen.

Diese Händler erhalten in der Regel eine 22-f-Bescheinigung durch das Finanzamt Neukölln in Berlin, auch wenn sie ihre Direktlieferungen aus China nach Deutschland nicht in Deutschland versteuern.

Interessant ist die Frage, ob Amazon in diesen Fällen angesichts der gelebten und allgemein bekannten Praxis der Nichtversteuerung haftet, auch wenn der Händler eine 22-f-Bescheinigung vorgelegt hat.

Tadxoo: Automatisierte Umsatzsteuer im Online-Handel

Taxdoo bezieht automatisiert Daten aus Amazon, eBay und den gängigsten ERP- (z.B. Afterbuy, Billbee, plentymarkets JTL oder Xentral) und Shop-Systemen (z.B. Shopify), bereitet sie umsatzsteuerlich auf, überführt sie in die Finanzbuchhaltung und kann sie auch im Ausland melden.

Die automatisierten Meldungen im EU-Ausland sind neben einem Grundpreis für die Datenaufbereitung bereits ab 79 Euro pro Monat und pro Staat möglich.

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