Kampf gegen den Umsatzsteuerbetrug im Onlinehandel

Dr. Roger Gothmann
Dr. Roger Gothmann
  • 8 min. Lesezeit
Kampf gegen den Umsatzsteuerbetrug im Onlinehandel

In diesem Blog-Post beschäftigen wir uns mit dem Thema Umsatzsteuerbetrug im Onlinehandel.

Wir haben dafür u.a. ein Interview mit dem Finanzministerium Nordrhein-Westfalen geführt, welches wir euch zunächst präsentieren.

Anschließend diskutieren wir, warum die Finanzverwaltung derzeit kaum Durchgriffsmöglichkeiten hat und wie sich das in Zukunft ändern könnte.

Interview

Die folgenden Fragen und Antworten entstammen einem schriftlichen Interview mit dem Finanzministerium Nordrhein-Westfalen (FinMin) vom 15. Mai 2017.

Gesamter Schaden im Onlinehandel durch Umsatzsteuerbetrug?

Taxdoo: Nach den Erhebungen von Mark Steier (Quelle: Wortfilter) könnten (insbesondere) asiatische Händler Umsatzsteuer für ihre Verkäufe über eBay und Amazon alleine in Deutschland in Höhe von ca. 800 Mio Euro pro Kalenderjahr hinterziehen.

Gibt es eine Schätzung dazu, wie hoch der Schaden insgesamt (gesamter Onlinehandel, alle Händlerklassen) ausfällt?

FinMin: Eine Schätzung, in dem nur der Umsatzsteuerschaden, der sich aus dem Betrug durch den Onlinehandel ergibt, ausgewiesen wird, ist nicht bekannt. Bekannt ist, dass sich der gesamte Umsatzsteuerschaden in der EU nach Schätzungen auf 160 Milliarden Euro beläuft.

Instrumente der Finanzverwaltung im Kampf gegen Steuerbetrug?

Taxdoo: Ist es angedacht, den Einsatz elektronischer Instrumente wie z.B. Xpider zukünftig auszubauen?

FinMin: Bereits jetzt stehen den Finanzverwaltungen verschiedene automatisierte Instrumente zur Verfügung, um den Umsatzsteuerbetrug im Allgemeinen aufzudecken.

Im Bereich des Onlinehandels spielt Xpider eine zentrale Rolle und wird daher auch fortwährend weiterentwickelt. Aber auch die übrigen Instrumente unterliegen einer steten Evaluierung, Weiterentwicklung und Ausbau.

Bekannte Betrugsmuster?

Taxdoo: Sind auf elektronischen Marktplätzen neue Betrugsmuster erkennbar—oder läuft es im Wesentlichen auf die
Missing-Trader-Problematik hinaus?

FinMin: Wie von Ihnen angedeutet, können elektronische Marktportale auch dazu verwendet werden, um im Rahmen des Umsatzsteuerkarussellbetrugs genutzt zu werden.

Im Bereich des Onlinehandels über Plattformen hat sich aber auch folgende Betrugsmethode herauskristallisiert:

Ware aus einem Drittland wird in das EU-Gebiet eingeführt, um diese bei einem Fulfillment-Dienstleister einzulagern. Dabei handelt es sich aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht um eine Einfuhr, die ab einem Wert von über 22 € der Einfuhrumsatzsteuer unterliegt. Diese Besteuerung wird umgegangen, indem bewusst ein Warenwert von unter 22 € angegeben wird, obwohl der Wert tatsächlich darüber liegt.

Zwar stünde dem Händler dem Grunde nach der Vorsteuerabzug aus dieser Einfuhr zu, wenn die Ware danach steuerpflichtig veräußert wird, allerdings ist dafür die umsatzsteuerrechtliche Registrierung bei einem Finanzamt notwendig, die aus Sicht des Händlers im Ergebnis so nicht notwendig ist.

Der Fulfillment-Dienstleister übernimmt für den Onlinehändler dann die vollständige Abwicklung des Warenverkaufs (z.B. Lagerung in einem EU-Staat, Versendung, Behandlung Retoure, Zahlungsabwicklung, aber u.U. sogar Beschwerdemanagement), nachdem die Geschäftsanbahnung über die Online-Plattform erfolgt ist. Damit benötigt der regelmäßig im Drittland sitzende Onlinehändler keinerlei Strukturen (z.B. Lager, Verwaltung) in einem Land der EU, um seine Handelstätigkeit ausüben zu können.

Wenn der Warenverkauf aus dem inländischen Lager des Fulfillment-Dienstleisters an einen im Inland ansässigen Empfänger dann vorgenommen wird, handelt es sich dabei um eine im Inland umsatzsteuerpflichtige Lieferung, die mit Umsatzsteuer zu besteuern ist. Allerdings erklärt der im Drittland ansässige Onlinehändler die Umsätze nicht ordnungsgemäß dem für ihn zuständigen Finanzamt und für dieses ist es auch nur schwer möglich die Besteuerungsgrundlagen festzustellen, zu bescheiden und letztlich die Steuerbeträge beizutreiben.

Das ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass der Onlinehändler durch die Nutzung der Plattformen und der Fulfillment-Dienstleister auf dem Markt in keinem besonderen Maße auftreten muss und damit für die Finanzbehörden kaum Ermittlungs- und Durchsetzungsansätze bestehen. Zudem ist es dadurch ein Leichtes, die wahre Identität des leistenden Unternehmers zu verschleiern.

Gegenmaßnahmen?

Taxdoo: Welche Gegenmaßnahmen bzw. Gesetzesänderungen sind angedacht (z.B. Haftung der Marktplätze für hinterzogene Umsatzsteuer)?

FinMin: Die Finanzverwaltungen des Bundes und der Länder beraten gerade über denkbare Maßnahmen, um den Umsatzsteuerbetrug beim Onlinehandel über elektronische Marktplätze zu bekämpfen. Die von Ihnen angesprochene Haftung der Anbieter der Online-Plattformen wurde in die Überlegungen mit einbezogen.

Zeitlicher Rahmen?

Taxdoo: (…) Mit welchem zeitlichen Horizont ist (…) zu rechnen?

FinMin: Das Umsatzsteuerrecht ist ein auf EU-Ebene harmonisiertes Recht, sodass die Mitgliedstaaten nur im Rahmen der Mehrwertsteuersystemrichtlinie gesetzgeberisch tätig werden können. Je nachdem welche gesetzgeberische Maßnahme ergriffen wird, ist u.U. eine Grundlage im Europarecht zu schaffen.

(/Ende)

Im Folgenden diskutieren wir zusätzliche Aspekte im Kampf gegen den Umsatzsteuerbetrug im Bereich E-Commerce.

Erkenntnisse aus der diesjährigen Jahreskonferenz der Landesfinanzministerien

Am 19.05.2017 ging die diesjährige Jahreskonferenz der Landesfinanzminister zu Ende. Ein Thema auf der Agenda war auch der Umsatzsteuerbetrug im Onlinehandel. Neben der Haftung der Marktplätze wurde dabei auch eine weitere Lösung diskutiert.

Beide Möglichkeiten wollen wir euch im Folgenden kurz erläutern.

Haftung der Marktplätze als Allheilmittel?

Ist eine Haftung der Marktplätze das Patentrezept, um nicht greifbare Händler aus Übersee (insbesondere China) dazu zu bringen, ihre Umsatzsteuer in Deutschland abzuführen?

Nein!

Eine Haftung per se dürfte rechtlich betrachtet schwierig umzusetzen sein. Grundsätzlich würde man dadurch hoheitliche Aufgaben auf Unternehmen der Privatwirtschaft übertragen, um strukturelle Mängel in der Finanzverwaltung auszugleichen.

Vorstellbar ist eine Regelung wie in Großbritannien (GB). Dort geht seit September 2016 die Haftung erst dann auf den Marktplatz über, wenn die Finanzverwaltung den entsprechenden unehrlichen Händler gemeldet hat und eine bestimmte Frist verstrichen ist. Innerhalb dieser Frist hat der Marktplatz die Möglichkeit, den Händler zur Ehrlichkeit zu drängen oder ihn von der Plattform zu verbannen.

Das bedeutet, dass die Finanzverwaltung in der Lage sein muss, diese Fälle vorab in strukturierter Form aufzudecken und nachhaltig zu bearbeiten.

Zudem deuten aktuelle Zahlen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) darauf hin, dass die Marktplatzhaftung in GB nicht den gewünschten Erfolg erzielt. Teilweise hinterlegen die betrügerischen Händler nun USt-IdNummern von Strohmännern auf den Plattformen. Das führte zwar zu einem sprunghaften Anstieg der steuerlichen Registrierungen in GB, aber voraussichtlich nicht zu dem erhofften Anstieg des Umsatzsteueraufkommens.

Sowohl in GB als auch in Deutschland stehen aus diesem Grund zusätzliche Mittel im Fokus der Überlegungen, wie z.B. split payments.

Split Payments

Demnach sollen Händler die Umsatzsteuer gar nicht mehr von ihren Kunden vereinnahmen dürfen, um diese dann hoffnungsvollerweise an das Finanzamt abzuführen.

Vielmehr soll die Umsatzsteuer direkt an der Quelle abgeführt werden—also z.B. während des Zahlungsvorgangs. Der Verkäufer erhält das Netto-Entgelt und die Finanzbehörden un-/mittelbar die Umsatzsteuer (split payments).

Ob in diesem Fall die Marktplätze eine Art Clearing für die Finanzbehörden übernehmen müssten, ist noch nicht geklärt.

Diese Methode dürfte jedoch vom Konzept her erfolgsversprechender als eine Ausweitung der Haftung sein.

Bis es jedoch dazu kommt, dürfte noch etwas Zeit vergehen. Der Grund dafür liegt darin, dass vermutlich das EU-Mehrwertsteuerrecht angepasst werden müsste.

Dieser Prozess ist langwierig und bedarf in der Regel der Zustimmung aller Mitgliedstaaten sowie umfassender Konsultationen vorab.

==Was kann die Finanzverwaltung zwischenzeitlich tun? ==

Leider nicht viel!

Finanzverwaltung nicht Herr der Daten

Amazon, eBay und Co. den Schwarzen Peter zuzuschieben, wie es derzeit gerne getan wird, ist zu billig.

Die Sicherstellung der korrekten und gleichmäßigen Erhebung aller Steuern ist eine sogenannte hoheitliche Aufgabe und damit in der Verantwortung der Finanzverwaltung.

Es ist erschreckend und symptomatisch zugleich, dass die Finanzverwaltung keine eigene Datengrundlage zum Umsatzsteuerbetrug im Onlinehandel vorweisen kann.

  • Wie kann oder will man Betrugsmuster in einem stark wachsenden Zukunftsmarkt bekämpfen, wenn man die Ausmaße des Schadens nicht kennt?

  • Wieso kann aber ein E-Commerce-Experte mit frei verfügbaren technischen Ressourcen und zeitlich überschaubarem Aufwand diesen Schaden erstmalig beziffern?

Die Finanzverwaltung steht vor großen Herausforderungen. Der demographische Wandel und die seit Jahren starke Konjunktur führen dazu, dass qualifiziertes Personal nicht in dem Maße eingestellt werden kann, wie es erforderlich ist.

Das föderale System hat zusätzlich dazu geführt, dass in den Bundesländern eine Vielzahl unterschiedlicher IT-Systeme im Einsatz ist, welche einen zwingend erforderlichen Datenaustausch nicht unbedingt erleichtern.

Technologien für eine erfolgreiche Betrugsbekämpfung im Digitalzeitalter werden oftmals mit externer Expertise entwickelt. Die Ausschreibungs- und Umsetzungsverfahren dafür können sich über viele Jahre hinziehen.

Fazit

Mittelfristig kann man wohl mit einer Haftung der Marktplätze in Deutschland für hinterzogene Umsatzsteuer rechnen.

Nachhaltig wird man dem Problem jedoch nur mit grundlegenden Gesetzesänderungen (Stichwort: split payments) sowie mit einer personell und technisch besser ausgestatteten sowie hinreichend vernetzten Finanzverwaltung begegnen können.

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