EU-Mehrwertsteuerreform: Nicht zu Ende gedacht?

Dr. Roger Gothmann
Dr. Roger Gothmann
  • 6 min. Lesezeit
EU-Mehrwertsteuerreform: Nicht zu Ende gedacht?

Am 5. Dezember 2017 fand in Brüssel etwas statt, das man seit fast einem Vierteljahrhundert angedacht, aber kaum noch für möglich gehalten hatte—der einstimmige Beschluss aller EU-Mitgliedstaaten zu einer grundlegenden Reform des EU-Mehrwertsteuerrechts.

Insbesondere der grenzüberschreitende Onlinehandel soll ab 2021 von zahlreichen Vereinfachungen profitieren.

Über diese Pressemitteilung stellt die EU-Kommission die entscheidenden Vereinfachungen für grenzüberschreitend tätige Unternehmen dar.

Leider überwiegen die Nachteile dieser Reform die (wenigen) Vorteile. Wir zeigen euch die Auswirkungen auf den Onlinehandel.

Fangen wir mit einer vermeintlichen Vereinfachung an.

EU Mehrwertsteuerreform für den Onlinehandel: In Zukunft alles einfach über den One-Stop-Shop melden?

Auf den ersten Blick lesen sich die Reformen wie folgt.

Zukünftig—vermutlich ab 2021—sollen Onlinehändler die Erklärung und Abführung der Umsatzsteuer für grenzüberschreitende Transaktionen über einen sogenannten One-Stop-Shop in ihrem Heimatland abwickeln können.

Bislang mussten sich Händler, z.B. nach Überschreiten von Lieferschwellen, im jeweiligen EU-Staat registrieren, Umsatzsteuer-Erklärungen abgeben und Umsatzsteuer abführen.


Quelle: EU-Kommission (http://bit.ly/2yxTZ7Z)
Hinweis: Der One-Stop-Shop soll sowohl für grenzüberschreitende Lieferungen an Endverbraucher (ab 01.01.2021) als auch für dann grenzüberschreitende steuerpflichtige Lieferungen an Unternehmen (ab 01.01.2022) zur Verfügung stehen.

Heißt das, dass ihr euch (ab 2021) nicht mehr langwierig und umständlich in einzelnen EU-Staaten steuerlich registrieren müsst?

Ja, aber das wird nur für wenige Händler zutreffen. Für viele Unternehmen wird es komplexer und umständlicher.

Nur reine Fernverkäufer werden profitieren

Fernverkäufer?

Über den One-Stop-Shop sollen nach dem derzeitigen Stand ausschließlich sogenannte Versandhandelslieferungen bzw. Fernverkäufe abgewickelt werden können. Das sind Lieferungen an Endverbraucher in einem EU-Staat, welche aus einem anderen EU-Staat heraus versendet werden.

Das klingt doch erstmal nach Onlinehandel? Ja, wenn man die Strukturen des Onlinehandels zugrunde legt, wie sie noch vor etwa 10 Jahren gültig waren.

Von dieser Reform begünstigt werden weitgehend nur Händler mit einem einzigen Zentrallager oder FBA-Händler, welche lediglich der Lagerung ihrer Waren in ihrem Heimatstaat zugestimmt haben.

Denn das definiert die EU-Kommission als Fernverkauf: den gebündelten grenzüberschreitenden Versand aus einem einzigen EU-Staat heraus.

Händler, die auf zeitgemäße Fulfillment-Strukturen zurückgreifen, werden nach den Reformen einen entscheidenden Nachteil gegenüber den klassischen Fernverkäufern haben.

Darüber hinaus ist diese Vereinfachung teuer erkauft. Im Vergleich zum Status Quo sind das die folgenden zwei Nachteile.

1. Sehr viele Händler werden in fast jedem EU-Staat steuerpflichtig

Es wird in Zukunft keine länderspezifischen Lieferschwellen mehr geben. Eingeführt wird (voraussichtlich) zum 1. Januar 2021 eine einzige EU-Lieferschwelle in Höhe von 10.000 Euro (netto).

Überschreiten also eure gesamten grenzüberschreitenden Lieferungen an Endverbraucher innerhalb der EU die Grenze von 10.000 Euro (netto) je Kalenderjahr, müsst ihr jede Lieferung darüber hinaus in dem Staat versteuern, in dem diese Lieferung endet.

Nach unseren Schätzungen werden bereits mittelgroße Händler (Jahresumsatz 3 bis 10 Mio. Euro) daher Lieferungen in (fast) jedem EU-Staat versteuern müssen.

Selbst Kleinunternehmer werden Umsatzsteuer im Ausland abführen müssen, wenn sie einen hohen Anteil grenzüberschreitender Lieferungen haben.

Das geht dann zwar grds. über den One-Stop-Shop vom Heimatstaat aus—allerdings nicht rückwirkend. Verpasst ihr den Zeitpunkt der Überschreitung der o.g. Lieferschwelle, kann es sein, dass ihr euch auf die herkömmliche Weise in den entsprechenden EU-Staaten registrieren und Selbstanzeigen abgeben müsst—denn faktisch hättet ihr Umsatzsteuer hinterzogen.

Zusätzlich müsst ihr bedenken, dass Bestandteil dieser Reform eine weitere grundlegende Änderung sein wird.

2. Mehr Steuersätze in der EU

Ein weiterer—von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommener—Eckpfeiler der Reformen soll die größere Autonomie der EU-Staaten bei der Festlegung der ermäßigten Steuersätze sein.

Es werden daher mit großer Wahrscheinlichkeit mehr Produkte ermäßigt besteuert werden. Ignoriert ihr diese Tatsache und verkauft eure Produkte zum Standardsteuersatz, hinterzieht ihr zumindest keine Umsatzsteuer. Ihr werdet jedoch einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Konkurrenten haben, welche für jeden EU-Staat und jedes Produkt den korrekten Steuersatz bestimmen können.

Mittelgroße Händler, welche dann sehr wahrscheinlich in fast jedem EU-Staat steuerpflichtig sein werden, fragen sich daher zurecht:

  • Welchen Steuersätzen unterliegt mein teilweise vier- oder fünfstelliges Produktsortiment in den anderen 27 EU-Staaten?
  • Woher erhalte ich Informationen dazu?

Das sind Fragen, welche die EU-Kommission derzeit nur mit dem Hinweis beantwortet, dass man entsprechende Informationsseiten zur Verfügung stellen wird.

Darüber hinaus stellt sich für sehr viele Amazon-Marketplace-Händler ein viel größeres Problem dar.

FBA-Händlern wird der One-Stop-Shop kaum Erleichterungen bringen

Seid ihr Amazon-Marketplace-Händler und verwendet ausländische Warenlager im Rahmen von Fulfillment by Amazon (FBA), werdet ihr leider nicht viel von dieser Reform haben.

Im Gegenteil!

FBA-Händler werden teilweise noch mehr Ressourcen in ihre Umsatzsteuer-Compliance stecken müssen.

Warum?

Der Grund liegt darin, dass die Reform derzeit nicht auf grenzüberschreitende Logistikstrukturen, wie z.B. FBA, abzielt.

Verwendet ihr ausländische Warenlager, tätigt ihr mindestens zwei Arten von Transaktionen, welche nach dem derzeitigen Stand nicht über den One-Stop-Shop gemeldet werden können:

  • Reine Inlandslieferungen im EU-Ausland: z.B. von einem französischen FBA-Lager an einen Endverbraucher in Frankreich und
  • sogenannte steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe im EU-Ausland im Rahmen der Verbringungen eurer Produkte durch Amazon zwischen den ausländischen FBA-Lagern.

Das bedeutet, ihr müsst euch weiterhin in den EU-Staaten steuerlich registrieren, in denen ihr Warenlager verwendet. Die Umsätze über diese Warenlager werdet ihr weiterhin direkt an die Finanzämter vor Ort melden müssen.

Hinzu kommen die oben genannten Herausforderungen.

  • Einführung einer niedrigen EU-weiten Lieferschwelle (10.000 Euro) und
  • Ausweitung ermäßigter Steuersätze.

Fazit

In erster Linie werden nur reine Fernverkäufer von der Reform profitieren—mit den o.g. Einschränkungen.

Es scheint, als sei man in Brüssel davon ausgegangen, dass der Onlinehandel auf dem Stand von 1998 verharrt sei.

Zeitgemäßer Onlinehandel lebt jedoch von hoch technologisierten und länderübergreifenden Logistikstrukturen. Kaum ein Endverbraucher wartet bereitwillig noch mehrere Tage auf die Zustellung seiner Onlinekäufe. Das bedingt Warenlager in seiner geografischen Nähe.

Der EU-Kommission ist diese Tatsache offenkundig nicht bewusst. Warum sonst will sie ausschließlich Fernverkäufer und keine Onlinehändler entlasten?

Es scheint daher, als wäre die langersehnte Reform am Ende für die Mehrzahl der Onlinehändler nur eine gut gemeinte aber schlecht gemachte Verschlimmbesserung.

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